Wie ich dem Gedankenkarussell den Stecker ziehe.
Weniger grübeln, mehr Zuckerwatte
Hallo Herbst. Hallo Kilbi-Zeit (oder Kirmes für alle ausserhalb von der Schweiz). Fahrgeschäfte, Magenbrot und Zuckerwattenduft in der Luft. Herrlich!
Bei mir persönlich ist das ganze Jahr Kilbi. Zumindest im Kopf. Denn der dreht unheimlich gerne seine Runden im Gedankenkarussell. Etwas, das ich übrigens mit Peach Weber gemeinsam habe, wie ich herausgefunden habe, als ich kürzlich einen Podcast hörte, in dem er zu Gast war:
«Ich bin ein Mensch, der ein wenig zu viel an allem herumstudiert. Das war schon immer so […] das ist eigentlich auch nicht so gesund, wenn man alles immer durchdenkt und alles hinterfragt. Ja, das kann auch zu viel werden. […] Ich habe früher immer gesagt: Mein grösstes Geschenk wäre, wenn ich mal eine Woche lang nichts denken würde. Es gibt ja so Leute, die nicht viel denken und die sind zum Teil zufriedener, als die die zu viel denken.»
Focus, 25. September 2023
Jep, diesen Wunsch kenne ich. Krieg, Krisen, Klimakatastrophe und daneben der ganz normale Alltagswahnsinn. Grund zum Grübeln gibt es immer. Aber oft ist es so, als ob ich den einen Fuss auf dem Gaspedal habe und mit dem anderen die Kupplung durchdrücke: Es braucht viel Energie und macht Lärm, aber vorwärts bringt es mich nicht. Mit den Sorgen, die ich in meinen Runden auf dem Gedankenkarussell kreiert und angehäuft habe, könnte ich ganze Vorratskeller füllen. Ich bin wirklich eine hervorragende Sorgenmacherin – vielleicht sollte ich mich beruflich umorientieren: Ihre Sorgenmacherin – qualitativ hochwertige Sorgen seit 1990 😉.
Kleine Notiz am Rande: Menschen, die zum Grübeln und sich Sorgen machen neigen (in der Fachsprache Katastrophisieren oder Rumination) haben ein höheres Risiko an chronischen Schmerzen zu erkranken. Sie fokussieren sich stärker auf den Schmerz und versuchen ihn unter Kontrolle zu bringen. Das führt aber dazu, dass die Aufmerksamkeit zu sehr bei den Schmerzen liegt und dieser immer mehr Kontrolle über das eigene Verhalten hat. Deshalb ist es besser, den Schmerz so anzunehmen, wie er gerade ist und sich auf andere Dinge zu fokussieren. (Egle U.T., Zentgraf B. (2020). Psychosomatische Schmerztherapie. Grundlagen, Diagnostik, Therapie und Begutachtung. S. 118f. 3. aktualisierte Auflage. Kohlhammer: Stuttgard.)
Das alles ist ziemlich anstrengend, und der gut gemeinte Ratschlag «Mach dir doch nicht immer so viele Gedanken» wenig hilfreich. Inzwischen weiss ich, dass die meisten Strategien, die wir verwenden, um durchs Leben zu kommen, einen Nutzen haben. Ich mache mir so viele Gedanken, weil es mir ein Gefühl von Sicherheit gibt, vorauszuschauen und einen Plan zu haben.
Es ist eine Strategie, die ich mir angeeignet habe, die aber ihren Zweck nur teilweise erfüllt. Grübeln ist sehr unrentabel. Die Zeit und die Energie, die notwendig sind, um aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen Annahmen über eine Zukunft zu machen, die sowieso anders kommt, als ich es mir ausgemalt habe, sind verschwendete Lebenszeit. Oder wie Peach Weber es schön zusammenfasst: «Man muss auch Leben und Lebensfreude zulassen, sonst macht das ja keinen Sinn, hier auf dieser Welt.» Genau das möchte ich: Ein bisschen weniger Karussellfahren, dafür mehr Zuckerwatte und Magenbrot. Ich möchte weniger grübeln. Ich möchte mehr im Hier und Jetzt sein. Nur, wie schaffe ich das?
Durch Mediation: Grübeln stoppen - ertappen und umschalten
Damit man mit dem Grübeln aufhören kann, muss man realisieren, dass man es überhaupt tut. Das kann man aber erst, wenn man seine Gedanken mit ein wenig Abstand betrachten kann. Deshalb meditiere ich seit knapp einem Jahr täglich 5-10 Minuten. Meditation ist für mich eher ein Mentaltraining als eine spirituelle Praxis.
Ich fokussiere mich auf meinen Atem, spüre wie er ein und aus geht und wie sich mein Bauch hebt und senkt. Merke ich, dass ich mit den Gedanken abgeschweift bin, lasse ich den Gedanken gehen und kehre ich wieder zum Atem zurück. In der Meditation stelle ich mir vor, dass ich auf einem Stein in einem Fluss sitze und die Gedanken wie Wasser an mir vorbeifliessen. Oder ich lege mich gedanklich auf eine Wiese und sehe meine Gedanken als Wolken am Himmel an mir vorbeiziehen. Dabei wird mir bewusst, dass ich nicht die Gedanken bin. Denn ICH liege auf der Wiese oder sitze auf dem Stein und beobachte die Gedanken. Das hilft mir, um mich weniger damit zu identifizieren und dank der Übung, die eigenen Gedanken (und auch Gefühle) von aussen wahrzunehmen, merke ich auch im Alltag schneller, wenn ich mich in einem Gedanken verbissen habe. Ich kann ihn dann loslassen und vorbeiziehen lassen. Dabei wird mir auch bewusst, wie sehr Gedanken dem Wetter ähneln. Sie kommen und gehen, verändern sich je nach Lebenslage und drehen sich immer wieder um andere Dinge. Manchmal habe ich Glück und erkenne ich ein Muster. So habe ich auch realisiert, dass ich sehr oft mit der Zukunft und deren Planung beschäftigt bin.
Nun versuche ich es mit dem Prinzip «ertappen und umschalten» der deutschen Psychologin Stephanie Stahl. Ertappe ich mich dabei, dass ich im Gedankenkarussell meine Runden drehe, schalte ich um: Ich steige aus, lass das Karussell hinter mir weiterlaufen und wende mich wichtigeren Dingen zu. Oder kurz gesagt „Stecker ziehen, weiter gehen.“ 😉
PS: Mein innerer Schweinehund mag die Stille ganz und gar nicht. Deshalb muss ich mich immer einen Moment lang überwinden, mich hinzusetzen und den Timer zu starten. Aber es hilft. So wie ich mich beim Zähneputzen, Duschen oder Sport machen um meinen Körper kümmere, kümmere ich mich mit der Meditation um meinen Kopf.
Realitätscheck
Auf dem Grübelkarussell erscheint die Welt eine Nuance dunkler, die möglichen Katastrophen absolut realistisch und bedrohlich. Hier kann ein Realitätscheck helfen. Wie realistisch ist es, dass Freund XY mich nicht mehr mag, weil ich XY gesagt oder getan habe? Kann es wirklich sein, dass mein Leben bergabgehen wird, wenn ich XY vergessen habe? Wird die Menschheit wirklich aussterben, wenn einige Politiker oder Gruppen den Klimawandel leugnen? Kann ich tatsächlich wissen, dass die Welt in einem dritten Weltkrieg untergehen wird?
Manchmal hilft es, die Grübel-Gedanken aufzuschreiben und dadurch ein wenig Abstand zu bekommen. So kann man kurz aus dem Film aussteigen und sich das Ganze auf der Leinwand anschauen. Mit der Aussensicht scheinen viele Sorgen nicht mehr so dramatisch oder gar realistisch.
Balance finden
Ich finde es wichtig, dass ich weiss, was in der Welt passiert. Aber es kann auch zu viel werden. Deshalb achte ich darauf, was ich konsumiere und höre zum Beispiel bestimmte Podcasts nur noch dann, wenn es mir gut geht.
Auf Ängste und Worst Case Scenarios, die sich beim Reality-Check als realistisch herausstellen, versuche ich mich so gut es geht vorzubereiten. Aber auch hier ist eine gesunde Balance entscheidend. Die Betonung liegt auf "gut" und nicht auf "perfekt". Denn Perfektionismus hat noch jedem geschadet und ist auch im Umgang mit Ängsten kein guter Ratgeber.
Raus aus dem Kopf und rein in den Körper - im Moment sein
Grübeln braucht viel Kopfarbeit, deshalb hilft es, den Fokus in den Körper zu verschieben. Fühlt man mit allen Sinnen, hat man fürs Grübeln nun noch wenig Kapazität und kann mehr im Moment sein. Einige Ideen:
Dort wo man gerade ist, alles wahrnehmen, was man sieht, fühlt, schmeckt und riecht.
Beim Tanzen alles vergessen, weil man sich auf die Schritte fokussiert.
Durch die Berge wandern und sich von der schönen Landschaft (und den steilen Anstiegen) den Atem rauben lassen.
Im Garten die Schönheit der Natur bewundern und durch die Routinearbeit in einen Flowzustand kommen.
Sich beim Velofahren den Wind um die Ohren pfeifen lassen und die Grübelgedanken weit hinter sich zurücklassen.
Mit den eigenen Kindern oder mit ausgeliehenen einen ganzen Nachmittag spielen und für ein paar Stunden wieder selbst Kind sein.
Sich in der Yogastunde der sanften Musik und den Bewegungen hingeben. Nicht selbst denken, sondern nur den Anweisungen folgen, kann so gut tun 😊
Besser schlafen
Meistens kommen die Gedanken dann, wenn man Zeit hat. Also am Abend, beim Einschlafen.
Da kann folgendes helfen:
Grübeltagebuch: Man kann sich vor dem Einschlafen einige Minuten nehmen und alles aufschreiben, das einen beschäftigt. Tauchen tagsüber Grübelgedanken auf, dann kann man sie auf den Abend verschieben. Ausserdem sieht man so, worum sich die Gedanken drehen und kann sich bewusster mit den Ängsten auseinandersetzen.
Positives hervorheben: Beim Grübeln stehen Probleme und Schwierigkeiten im Fokus, da kann man die Waagschale mit positiven Gedanken wieder mehr ins Gleichgewicht bringen. Buddhistische Mönche rufen sich vor dem Einschlafen all ihre guten Taten ins Gedächtnis, um sich so bewusst zu machen, worauf sie stolz sein können und um mit einem guten Gefühl einzuschlafen. Man kann auch vor dem Einschlafen Dinge aufschreiben, für die man dankbar ist oder tagsüber bewusst das Schöne und Positive im Alltag suchen. Nicht um toxisch positiv nur noch gut drauf zu sein, sondern um das Gehirn auch in die andere Richtung zu trainieren.
Anstatt sich das Worst Case Scenario vorzustellen, kann man auch mal über das Best Case Scenario nachdenken 😉.
Yoga Nidra oder Body Scan: Diese Übung kommt aus dem Yoga und soll zur Tiefenentspannung führen. Man legt sich hin und fühlt sich mit geschlossenen Augen durch den Körper. Das hilft beim Entspannen und beim Einschlafen. Mein absoluter Favorit!
Ich kann nicht alles in meinem Leben kontrollieren, aber meine Reaktion darauf
Seit ich wieder unterrichte, habe ich wieder mit Unterrichtsstörungen zu tun. Weil Unterrichtsstörungen normal sind. Ich kann durch vorbeugende Massnahmen dafür sorgen, dass sie weniger auftreten, aber trotzdem werden sich einige Schülerinnen und Schüler nicht an die Regeln halten. Wann und wie, kann ich nicht kontrollieren. Was ich aber kontrollieren kann, ist meine Reaktion darauf. Im besten Fall fällt die gelassen und bestimmt aus 😉. Und so ist es doch auch im Leben. Probleme und tauchen auf und stören meine Zufriedenheit. Ich kann vorbeugend dafür sorgen, dass es weniger sind (z.B. indem ich meine Rechnungen pünktlich bezahle oder meine Aufgaben im Job zuverlässig erledige), aber sie gehören nun einmal zum Leben dazu. Ich kann nicht kontrollieren, wann und wie sie auftauchen, aber ich kann kontrollieren, wie ich darauf reagiere. Im besten Fall gelassen und ohne mich aus der Fassung bringen zu lassen. Auch wenn manche Probleme riesig und unüberwindbar scheinen. Jetzt komme ich damit klar. Hinter einem hohen, eisigen und gefährlichen Berg wartet wieder ein grünes, sonniges Tal und das mache ich mir bewusst, wenn es mal turbulent wird. Es werden bessere Zeiten kommen und Jetzt, in diesem Moment, komme ich damit klar. Atmen. Ein und aus. In den Bauch. Spüren. Und weiter geht’s.
Für weitere Tipps im Umgang mit Grübeln, kann ich den Blogartikel von Ulrike Bossmann empfehlen:
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