
ACHTSAMKEIT
Atme...
Es wird dir wieder gut gehen.
Du hast es schon einmal geschafft.
Achtsamkeit, im Ernst?!
Ja, genau Achtsamkeit. Dank unserer gestressten Leistungsgesellschaft ist Achtsamkeit seit einigen Jahren ein Hype. Der Markt wurde dementsprechend überflutet mit Ratgebern und (überteuerten) Kursen. Wohl so sehr, dass vielen von uns der Begriff inzwischen zum Hals heraushängt. Aber Achtsamkeit kann echt viel und ist nicht umsonst in aller Munde. Gib ihr eine Chance, dir was Gutes zu tun…
Du brauchst keine Beweise für die Wirkung von Achtsamkeit? Hier geht es direkt zu den Übungen.
Was kann Achtsamkeit?
Stelle dir vor, du hast deinen Hausschlüssel verloren und musst nun vor der Türe warten. Es beginnt zu regnen und du wirst nass bis auf die Haut. Es stürmt, der Wind zerzaust dir die Haare und peitscht dir den Regen schmerzhaft ins Gesicht. Dir ist eiskalt und du vergräbst die Hände in deinen Hosentaschen. Da spürst du etwas Kaltes und Hartes – dein Schlüssel! Endlich kannst du rein ins Warme! Du ziehst dir trockene Klamotten an, machst dir einen heissen Tee und beobachtest den Sturm durchs Fenster. Fasziniert schaust du zu, wie der Regen vom Wind durch die Strassen gepeitscht wird, wie es blitzt und donnert…
Diese kleine Geschichte zeigt ganz gut, was Achtsamkeit kann: Mit ihr sind wir dem Sturm unserer Emotionen nicht mehr schutzlos ausgeliefert, sondern können sie interessiert aus der Distanz betrachten und allenfalls analysieren.

Achtsamkeit ist die Fähigkeit, ohne zu urteilen, ganz im Moment zu sein. Oft sind wir körperlich anwesend, geistig aber irgendwo anders. Wir hängen in der Vergangenheit rum, machen uns Sorgen über alles Mögliche oder beschäftigen uns mit der Zukunft. Befinden wir uns ausnahmsweise in der Gegenwart, neigen wir dazu alles zu bewerten. Achtsam zu sein, bedeutet jedoch absichtlich wahrzunehmen und zu beobachten was da ist, ohne darüber zu urteilen.
Die Wirkung von Achtsamkeit
Ursprünglich wurde Achtsamkeit als Stresskiller verwendet. Durch das bewusste Sein im Moment, kannst du im Hier und Jetzt einen Anker werfen, der dich davor bewahrt von einem Strom aus Gedanken mitgerissen zu werden. Jede Handlung wird bewusst ausgeführt, alle Gefühle haben Platz und werden liebevoll betrachtet, ohne verurteilt oder weggedrückt zu werden.

Auch in der Schmerztherapie wird das Potential von Achtsamkeit anerkannt. Durch das achtsame Wahrnehmen des Körpers kannst du deinem Gehirn ein Gefühl von Sicherheit vermitteln (lies hier mehr zum Somatic Tracking). Du lernst Schmerzen nicht zu bewerten, sondern urteilsfrei wahrzunehmen. Dadurch kannst du aus dem Angst-Teufelskreis ausbrechen. Mit etwas mehr Distanz wirst du durch die Achtsamkeit auch wahrnehmen können, wie sich dein Schmerz verändert. Nichts ist immer gleich, alles verändert sich. Dieser Gedanke hat mir persönlich immer wieder geholfen, wenn ich durch eine sehr schmerzhafte Phase ging.
Vom Glauben zur Wissenschaft
Achtsamkeit wird schon seit Jahrtausenden im Buddhismus praktiziert, ist eng mit der Meditation verknüpft und hat durch den Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn Eingang in die westliche Medizin gefunden. Er war ein Anhänger des Zen-Buddhismus und hat die Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) entwickelt. Auch in deutschsprachigen Kliniken wird dieser Ansatz der «Stressbewältigung durch Achtsamkeit» angewandt. Er ist weder religiös noch spirituell, sondern wissenschaftlich fundiert.
Übungen
Achtsam durch den Alltag zu gehen, können alle lernen. Hier stelle ich dir einige einfach Übungen vor, die du in deinen Alltag einbauen kannst.
Alle Sinne
Allzu oft schreiben wir gedanklich unter der Dusche die To-Do-Liste des Tages, machen uns im Auto Sorgen wegen der Arbeit oder grübeln auf dem Fahrrad über Projekte nach, anstatt auf die Strasse zu achten.
Konzentriere dich so oft es geht auf all deine Sinne, dann haben unnütze Gedanken weniger Platz.
Hier einige Beispiele:
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Spüre unter der Dusche ganz bewusst das warme Wasser, das über deinen Körper läuft. Wie fühlt es sich an? Welche Körperstellen sind wärmer? Welche kälter? Wie riecht das Shampoo? Wie fühlt es sich auf deinen Händen an?
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Wenn du irgendwo sitzt, konzentriere dich auf deine Körperwahrnehmungen: Wo spürst du die Sitzfläche? Wie fühlt sich der Boden unter deinen Füssen an? Wie fühlt sich die Luft an deinem Körper an? Was kannst du hören?
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Konzentriere dich beim Kochen darauf, was deine Hände spüren, auf die verschiedenen Gerüche und Geräusche. Fokussiere dich beim Essen ganz auf den Geschmack und die Konsistenz.
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Achte auf dem Fahrrad auf die frische Luft, spüre den Wind auf deiner Haut und die kleinen Unebenheiten der Strasse unter den Fahrradreifen.
Grundsätzlich kannst du alles achtsam tun.
Probiere einfach nach Lust und Laune aus 😊
Blick weiten
Stelle dir vor du stehst am Strand und schaust aufs Meer hinaus.

Wie fühlt sich das an?
Wenn du wie die meisten Menschen funktionierst, entspannt dich der Blick aufs Meer. Der Grund dafür liegt in unserer Evolution. Sind wir angespannt und konzentriert, verändern sich die Pupillen. Der Blick wird eng und fokussiert. Das Gehirn ist wachsam und bereit für drohende Gefahren. Erweitern wir den Blick absichtlich, signalisieren wir dem Körper, dass keine Gefahr droht und er entspannt sich. Probiere es das nächste Mal, wenn du gestresst bist aus: Halte den Kopf in eine Richtung, schaue geradeaus.
Fokussiere den Blick auf ein Objekt. Nimm dann den Raum um das Objekt herum wahr und entspanne den Blick, bis du alles ein wenig verschwommen siehst. Versuche alles wahrzunehmen, was um dich herum passiert, ohne deine Augen zu bewegen.
PS: Diese Übung stammt von Neurowissenschaftler Dr. Andrew Hubermann.
Body Scan
Eine meiner Lieblingsübungen, wenn ich gestresst bin, ist der Body Scan. Hier verschmilzt Achtsamkeit mit Meditation. Du kannst dich für den Body Scan hinlegen oder bequem hinsetzten (Manchmal mache ich die Übung im Zug auf dem Weg nach Hause…) Schliesse die Augen und konzentriere dich auf deinen Atem. Atme einige Male bewusst ein und aus. Beginne dann beim Kopf. Spüre, wie sich dein Kopf gerade anfühlt. Wandere weiter zu deinen Augen. Fühle Mund, Nase und Kinnpartie, bevor du weiter zu deinem Nacken, deinen Körper entlang, hinunter zu deinen Füssen wanderst. Spüre jedes Körperteil ganz bewusst und ohne zu bewerten, bevor du weiterwanderst.
Sehr angenehm kann auch eine geführte Body Scan Meditation sein. Auf YouTube findest du dazu hunderte Videos. Achte drauf, dass du die Stimme angenehm findest, sonst wird es schwierig mit der Entspannung 😉.
Tipp: In eine ähnliche Richtung geht Yoga Nidra. Dort übst du deinen Körper bewusst wahrzunehmen und zu entspannen. Ich kann dir Yoga Nidra wärmstens empfehlen. Mir hilft es besonders zum Einschlafen. Auch hier findest du auf YouTube viele Angebote.