Darm-Hirn-Connection Teil 2
Wer bin ich? Und wenn ja, wie viele?
Wir sind nicht alleine in unserem Körper: In unserem Darm befinden sich Billionen von Darmbakterien, die einen entscheidenden Einfluss auf unsere Gesundheit haben. Es gibt Bakterien, die uns helfen und andere, die uns krank machen. Jede Person hat mindestens 160 verschiedene Bakterienarten in ihrem Darm! Alle diese Bakterien zusammen bilden die Darmflora.
Die ist sehr individuell. Jede Person hat ihre eigne Darmflora, also eine Art mikrobieller Fingerabdruck. Du kannst dir die Darmflora wie einen riesigen Garten voller verschiedener Blumenarten, Moos, Kräutern und Gräsern vorstellen. Im Garten der einen Person wachsen mehr Gänseblümchen und Tulpen, bei der anderen überwiegen Farn, Wiesenkraut und Alpenrosen. Was für die Pflänzchen der einen Person gut ist, schadet den Pflänzchen der anderen.
Überlebenswichtig und anpassungsfähig
Ohne unsere Darmbakterien hätten wir vermehrt Durchfall, Verstopfungen und Blähungen. Die Wahrscheinlichkeit, das wir an einer Mangelernährung leiden würden, wäre gross. Das liegt daran, dass wir in einer Symbiose mit den Bakterien leben. Das heisst, wir profitieren gegenseitig voneinander. Die Bakterien führen in unserem Darm ein gutes Leben und uns geht es besser, wenn sie ihre Arbeit erledigen. Sie fördern nicht nur die Aufnahme von Nährstoffen ins Blut, dank ihnen können wir auch schwerer verdauliche Pflanzenfasern verwerten, sie stärken unser Immunsystem, regulieren die Knochendichte, regen die Verdauung an und vieles mehr.
Die Zusammensetzung der Darmflora verändert sich immer wieder. Neben der Ernährung, wird sie von den Genen, der frühen Kindheit, Medikamenten und dem Immunsystem beeinflusst. Sie kann sich schnell an die Umwelt anpassen und ist sehr dynamisch. Wie vielfältig die Darmflora ist und welche Bakterien in der Darmflora vorherrschen, hat einen grossen Einfluss auf unsere Gesundheit.
Darmflora und Medikamente
Ob und wie Medikamente bei uns wirken, hängt auch von der Zusammensetzung der Darmflora ab. Es gibt zum Beispiel ein Parkinson Medikament (Levodopa), das nicht mehr ins Gehirn gelangen kann und unwirksam wird, wenn im Darm zu viele Bakterien einer bestimmten Art vertreten sind. Sie wandeln die Substanz des Medikaments um, so dass es nicht mehr durch die Blut-Hirn-Schranke kommt. Das Herzmittel Digoxin wird vom Darmbakterium Eggerthella chemisch verändert, so dass es nicht mehr wirkt. Menschen mit vielen Eggerthella-Bakterien müssen also eine viel höhere Dosis einnehmen oder auf ein anderes Medikament umsteigen.
Darmflora und Persönlichkeit
Man vermutet sogar, dass die Darmflora unsere Persönlichkeit mitbeeinflusst. Dazu gab es im Jahr 2011 eine spannende Studie:
Das Forschungsteam um Premysl Bercik arbeitete mit zwei Mäuserassen, die sich in ihrem Verhalten deutlich voneinander unterschieden: Die eine Rasse war nervös und scheu (BALB/c), die andere Rasse extrovertiert und draufgängerisch (NIH Swiss). Doch nicht nur ihr Charakter unterschied sich voneinander, sondern auch die Zusammensetzung ihrer Darmflora. Neben den normalen Mäusen, liessen die Forscher*innen auch Tiere mit einem keimfreien Darm auf die Welt kommen. Als die Mäuse gross waren, wurde die Hälfte der keimfreien, scheuen Mäuse mit Darmmikroben der scheuen Mäuse geimpft und die andere Hälfte mit Darmmikroben der draufgängerischen Mäuse. Genau das gleiche machte man mit den keimfreien, draufgängerischen Mäuse. Dann machten die Forscher*innen ein Experiment mit ihnen: Sie setzten die Mäuse auf eine Plattform, stoppten die Zeit und schauten, wie lange die Mäuse brauchten, um herunterzuspringen, um ihre Umgebung zu erforschen.
Das Ergebnis war erstaunlich: Zusammen mit der Darmflora schienen die Mäuse auch die Persönlichkeit der anderen Rasse angenommen zu haben. Die scheuen Mäuse wurden mutiger und sprangen viel schneller hinunter als zuvor. Die draufgängerischen Mäuse brauchten hingegen dreimal so lange wie zuvor, bis sie sich trauten hinunterzuspringen.
Dass Darmbakterien die Persönlichkeit von Mäusen verändern oder zumindest beeinflussen können, wurde inzwischen durch andere Studien bestätigt.
Man kann die Erkenntnisse natürlich nicht eins zu eins auf uns Menschen übertragen, aber dass die Darmflora einen Einfluss auf unser Verhalten hat, ist sehr wahrscheinlich.
Darmflora und Krankheiten
Heute weiss man auch, dass die Darmbakterien viele neurologische und psychiatrische Erkrankungen beeinflussen. Man hat beispielsweise festgestellt, dass in sogenannten WEIRD-Gesellschaften (westlich, gebildet, industriell, reich, demokratisch) vermehrt Diabetes, Adipositas und Autismus auftreten. Dort werden Keime und Bakterien nicht gerne gesehen: übermässiges Waschen, Kaiserschnittgeburten, der häufige Einsatz von Antibiotika und der Verzehr von raffinierten Nahrungsmitteln führen dazu, dass die Darmflora verkümmert.
Darmflora und Übergewicht
Warum gibt es immer mehr übergewichtige Menschen? Dieser Frage wollte auch die Forschung auf den Grund gehen. Einige Studien zeigen nun, dass Darmbakterien ein entscheidender Faktor sein könnten. In einem Versuch zogen Forscher*innen Mäuse ohne Darmbakterien auf. Danach übertrugen sie den Mäusen Darmbakterien von eineiigen menschlichen Zwillingen. Dabei war einer der Zwillinge normal-, der andere stark übergewichtig. Das Ergebnis war faszinierend: Mäuse, die Bakterien vom normalgewichtigen Spender bekommen hatten, blieben normalgewichtig. Mäuse, die Bakterien vom übergewichtigen Spender bekommen hatten, nahmen zu.
In anderen Studien hat man herausgefunden, dass Personen mit einer vielfältigeren Darmflora weniger wiegen und einen niedrigeren Körperfettanteil haben, als Personen mit einer geringeren Vielfalt. Die Vielfalt scheint zudem einen Einfluss auf die Bakterienarten im Darm zu haben. Bei Menschen mit einer vielfältigen Darmflora herrschen andere Bakterien vor, als bei Menschen mit einer geringeren Vielfalt. Dort können vor allem die Bakterien Parabacteroides und Ruminococcus dazu führen, dass diese Menschen schneller zunehmen als andere, da diese Bakterien selbst schwer verdauliche Nahrung gut aufschliessen können.
Auf eine gute Zusammenarbeit
Zusammengefasst ist eine vielfältige Darmflora also ein absoluter Gewinn für unsere Gesundheit. Doch was können wir dafür tun, dass sich unsere kleinen Helfer im Darm möglichst wohl fühlen und unser innerer Garten wachsen kann?
Das wichtigste ist eine ausgewogene, abwechslungsreiche und saisonale Ernährung. Ausgewogen und abwechslungsreich, damit möglichst viele verschiedene Bakterien berücksichtigt werden. Saisonal, weil saisonale Lebensmittel oft nährstoffreicher sind und sich die Darmflora so über das Jahr verändert. Studien zur Darmflora der Hadzas, eines der letzten afrikanischen Völker, das noch einen Jäger-Sammler-Lebensstil führt, haben gezeigt, dass eine saisonal ändernde Ernährung wahrscheinlich unserem ursprünglichen Lebenswandel entspricht.
Als besonders gut für die Darmflora haben sich ausserdem Probiotika und Präbiotika erwiesen. Probiotika sind gesunde Bakterien, die in natürlichen Lebensmitteln vorkommen. Diese findet man zum Beispiel in fermentierten Produkten wie Jogurt, Kefir, Hütten- und Parmesankäse, saure Gurken, Sauerkraut und Apfelessig. Präbiotika, auch Ballaststoffe genannt, können wir nicht verdauuen. Sie dienen als Bakteriennahrung und fördern so die Vielfalt der Darmflora. Diese findet man vor allem in Gemüse und Früchten, aber auch in Getreide (am besten Vollkorn), Nüssen und Hülsefrüchte. Es gibt Menschen, die Präbiotika nicht so gut vertragen und mit Blähungen, Bauchschmerzen und Krämpfen reagieren. Gehörst du dazu, solltest du nicht zu grosse Mengen an Präbiotika zu dir nehmen.
Willst du mehr über das Thema erfahren? Alle Infos in diesem Artikel stammen aus dem Buch Die Darm-Hirn-Connection von Gregor Hasler.
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