Es gibt Zeiten, da muss man seinen inneren Kompass neu ausrichten …
Nach 10'000 km in Richtung Südosten, waren wir da. In der „Stadt der Engel“, auch bekannt als Bangkok. Eine pulsierende, schillernde Stadt mit beeindruckenden Tempelanlagen, wuseligen Märkten, fantastischen Shoppingmals und kunterbunten Stadtvierteln. Eigentlich traumhaft. Doch ich fühlte mich überhaupt nicht traumhaft, sondern ängstlich, überfordert und total erschöpft 😟.
Vor einigen Tagen waren wir in Bangkok gelandet und standen am Anfang unserer dreimonatigen Reise. Darauf hatten wir - dank Schmerzen und Corona – sehr lange gewartet. Und ich hatte mich so darauf gefreut! Nach den letzten drei anstrengenden Jahren wollte ich einfach wieder einmal unbeschwert und glücklich sein - so wie ich mich beim Reisen normalerweise fühlte (und ja, ich weiss, dass ich ein riesiges Privileg habe, dass ich die Möglichkeit dazu habe). Doch in Bangkok angekommen war mir alles zu laut, zu heiss, zu viel... Ich war endlich dort, wo ich mich hingesehnt hatte und fühlte mich weder frei noch glücklich, sondern einfach nur besch*** 😣. Offenbar reichte ein Langstreckenflug nicht aus, um mich in den Reisemodus zu versetzen.
Die nächsten Wochen wurden nicht einfach. Die Reise durch Asien war nicht das lustige Abenteuer, das ich mir vorgestellt hatte, sondern eine innere Reise, die durch schroffe Täler, aufgewühlte Ozeane und blickdichte Dschungel führte. Während wir also mit unseren riesigen Rucksäcken durch Thailands brütende Hitze flip-floppten, hatte ich besonders zu Beginn der Reise wenig Kapazität, um mich auf die vielen Eindrücke einzulassen. In mir tobte ein Sturm aus unangenehmen Gefühlen und mein Kopf kam nicht zur Ruhe. Quälend kreisten die Gedanken: Bin ich in der Lage die Reise körperlich zu schaffen? In welche Richtung möchte ich in meinem Leben? Was sind meine Ziele? Was tue ich hier eigentlich? Worin liegt der Sinn des Ganzen? Gibt es den überhaupt? Braucht es einen?
Jep, es ging um die ganz grossen Fragen 😅.
Ich mache mir grundsätzlich viele Gedanken übers Leben, aber selten haben sie mich so sehr verfolgt. Es fühlte sich an, als würde ich ohne Karte an einer Wegkreuzung mit 1000 verschiedenen Abzweigungen stehen. Ich hatte keine Ahnung, wo ich lang sollte. Mein Leben lang war mein Kompass ganz klar ausgerichtet gewesen: guter Schulabschluss, sicherer Job, der Spass macht, Partnersuche - das übliche halt. Nun stand ich an der Kreuzung, sah auf meinen inneren Kompass, dessen Nadel wie wild herumwirbelte und fragte mich, was ICH eigentlich wollte.
… Zeitsprung. Drei Monate später, waren wir nach einer langen Reise (innen wie aussen) zurück in Bangkok. Mir ging es viel besser. Ich hatte mehr Energie, fast keine Schmerzen, Lust zum Reisen und das Gefühl, endlich wieder ich bei mir zu sein 😍. Ich würde nicht behaupten, dass ich den Sinn meines Daseins gefunden habe, aber zumindest habe ich auf der Reise meinen Kompass neu ausgerichtet.
Was mir dabei besonders geholfen hat:
1. Die Mitternachtsbibliothek
Für mich fühlt es sich an wie Magie, wenn mir das richtige Buch zum richtigen Zeitpunkt in die Hände fällt – oder in diesem Fall in die Ohren 😉. «Die Mitternachtsbibliothek» ist ein Buch von Matt Haig und erzählt die Geschichte von Nora, die sich in dieser riesigen Bibliothek wiederfindet, als sie sich aus lauter Verzweiflung über ihr erfolgloses Dasein das Leben nimmt. An diesem Ort zwischen Raum und Zeit hat sie die Möglichkeit, andere Leben auszuprobieren und damit herauszufinden, was geschehen wäre, wenn… Nora tastet sich langsam heran, probiert immer gewagtere Leben aus und hat drei Möglichkeiten: 1. Sie bleibt in einem neuen Leben, das ihr gefällt. 2. Sie geht zurück in ihr altes Leben. 3. Sie geht ins Jenseits. Wie sich entschieden hat? Finde es selbst heraus 😉.
"Welcher Weg ist der richtige?" Nora hatte für mich ausprobiert, was mich zum Verzweifeln brachte. Sie hatte viele mögliche Leben ausprobiert, war Mutter, Alleinstehend, Olympia-Schwimmerin, Gletscherforscherin, Motivationsrednerin und vieles mehr gewesen. In manchen der Leben fühlte sie sich wohler als in anderen, aber keines war perfekt und so unterschiedlich die Leben von aussen aussahen, eines hatten sie gemeinsam: In jedem Leben fühlte Nora das ganze Spektrum an menschlichen Emotionen. Ich fand das einleuchtend und sehr erleichternd. Vielleicht war es gar nicht so entscheidend, welchen Weg ich wählen würde. So ganz nach dem Buddha Spruch: «Das Leben ist kein Problem, das es zu lösen, sondern eine Wirklichkeit, die es zu erfahren gilt.» Deshalb ist meine Antworte auf den Sinn des Lebens im Moment: Leben. Das Beste daran? Man kann grundsätzlich nicht viel falsch dabei machen😉.
2. Gespräche
Ich hatte das Glück neben dem richtigen Buch auch den richtigen Menschen an meiner Seite zu haben 😀🌞. Es hat gedauert, bis ich mich öffnen konnte – wer will dem anderen schon die Reise mit so verschwurbelten Gedanken verderben?! – aber die Gespräche haben mir unglaublich beim Verarbeiten, Zerdenken und Neuorientieren geholfen. Ich kann's nur empfehlen 😉.
3. Abweinen
Ich bin wirklich nicht jemand, der viel weint. Erst recht nicht vor andern. Aber wenn Bangkok die Stadt der Engel ist, ist Phnom Penh für mich die Stadt der Tränen 😭. Da musste einmal alles raus. Und es hat so gut getan!
4. Meditation – OMMM…
Es ist schon fast penetrant, wie oft man davon hört und liest: Jeder und jede scheint zu meditieren. Ich konnte mich nie so richtig dazu durchringen, auch wenn mir bei den Schmerzen die geführten Meditationen geholfen hatten. Doch im November in Vientiane in Laos habe ich aus einem Impuls heraus damit angefangen, jeden Tag für fünf bis zehn Minuten zu meditieren – und habe seither nicht mehr damit aufgehört. In Bangkok habe ich die Gelegenheit ergriffen und mir was von Profis beibringen lassen.
Im Wat Mahadhat gibt es täglich eine Einführung in die Vipassana Mediation. Im Keller eines Klostergebäudes - immerhin schön kühl - lernten wir von einer buddhistischen Nonne wie wir unseren Geist auf den Atem lenken können. Das Sitzen in der Stille war zu Beginn unangenehm 😆, aber es hilft. Wie genau, werde ich in einem anderen Blog erzählen...
5. Ein neuer Polarstern
Der Weg scheint klar, die Werte sind gegeben: Schule, Ausbildung, Partner*in, guter Job, Haus, Kinder, Karriere, langersehnte Pension. Es ist wahrscheinlich normal, dass man sich erstmal an der Gesellschaft orientiert, wenn es um das eigene Leben geht.
Doch ich habe gemerkt, dass da einige Versprechungen nicht ganz eingelöst werden. Da spart man lange, strengt sich an, um die grösste Packung Chips zu kaufen und wenn man sie endlich aufreisst und reinschaut, sieht man ... Da hat jemand die Hälfte schon gegessen!
Es ist, als ob dir alle erzählen: Das Glück findest du im Topf am Ende des Regenbogens, renn! Du rennst los. Durch den Regen. Mit einem klaren Ziel vor Augen. Aber immer wenn du denkst, du hast es geschafft, blickst du auf und bemerkst, dass der Regenbogen erneut unerreichbar in die Ferne gerückt ist. Total erschöpf von dem ganzen Gerenne, hast du gar nicht gesehen, dass das Glück die ganze Zeit da war - in der Schönheit des Regenbogens.
Ich möchte mich mehr auf den Regenbogen, als auf den Regen und den Topf voll Glück konzentrieren🌈🤩. Deshalb habe ich in den drei Monaten in Asien mein Leben einmal auf links gedreht und ausgemistet: Perfektionismus, Selbstaufgabe, Dauerstress und selbstgemachter Druck haben da erst Mal nix mehr zu suchen, auch wenn sich die hinterhältigen Biester immer wieder durch die Hintertür schleichen (wie zum Beispiel, wenn ich diesen Artikel zum x-ten Mal überarbeite😆). Meinen Kompass habe ich neu ausgerichtet. Meine Nadel zeigt weg vom kalten Norden in Richtung Süden. Hin zu mehr Wärme, Entspannung und Lebensfreude.
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